Romeo: Akt 2, Szene 2
Dunkelheit umfing mich auf meinem Weg zu ihr. Die Bäume raschelten leise im Wind und meine Schritte verursachten ein dumpfes Geräusch auf dem Boden; sonst war es still. Zielsicher ging ich weiter. Ich musste zu ihr, auch wenn alles dagegen sprach. Mein Herz führte mich in den Garten der Capulets. Eigentlich war dies ein verbotener, gefährlicher Ort für mich und ich sollte niemals alleine hier her kommen, doch das war mir egal. Die Capulets konnten noch so viel Hass auf mich haben und doch war dieser Ort wunderschön. Überall, wo Julia auf mich wartete, war es schön. Sie war mein Licht in der Nacht.Ich bahnte mir einen Weg zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch. Mein wachsamer Blick huschte hin und her. Hinter jeder Ecke konnten Wachen lauern. Glücklicherweise war niemand zu sehen. Ich war mehr als froh, dass die Nacht mich versteckte. Sie diente als Schutz und so konnte ich in der schwarzen Umgebung verschwinden. Einzelne Sterne glitzerten am Himmel. Sie erinnerten mich an Julias Augen. Die Augen, die nicht mein Abbild ansahen, sondern meine Seele. Das glitzernde Leuchten der vielen Sterne strahlte über den Pfad, der vor mir lag.
Das riesige Anwesen der Capulets war der Mittelpunkt des Gartens. Lichter erhellten die alten Steinwände. Eigentlich luden die großen, weißen Säulen ein, hinein zu gehen, aber auf mich wirkten sie wie lauernde Wächter. Nachdem ich jedoch ein Stück weiter gegangen war, tauchte ein Balkon aus dem Schatten auf. Rote Rosen schlängelten sich wie in einer Umarmung um das Geländer, hinter dem eine schlanke Gestalt stand. Das war mein Ziel. Dort war sie- die perfekte Julia.
Sie stand ganz alleine da. Vielleicht dachte sie ja auch an mich. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass sie das Gleiche empfand wie ich. Nie hatte ich für jemanden mehr Gefühle gehabt als für sie. Julia konnte die Nacht zum Tag machen. Sie schien zu allem imstande mit ihrem süßen Lächeln. Etwas in mir verzehrte sich nach ihr. Also kam ich näher.
Julia blickte traurig auf ihren Garten und stützte den Kopf in ihre Hände. Ich hätte sie Stunden beobachten können, so wie sie dort stand. Da seufzte Julia plötzlich leise: "Ach was soll ich nur tun?" Ihre Stimme erweckte mich aus meiner Starre. Ich wartete darauf, dass sie erneut sprach. Hatte Julia Sorgen?
"Ach Romeo, mein Romeo.", murmelte sie nun. Ich horchte still weiter und versteckte mich im Dunkeln. "Ich verstehe einfach nicht, wieso ich mich ausgerechnet in dich verlieben musste, Romeo. Wenn du deine Herkunft verleugnest..." , sie schien einen Moment zu überlegen, "Oder wenn du schwören würdest, dass du mich liebst, dann will ich keine Capulet mehr sein. Nur wegen unseren Namen können wir nicht zusammen sein. Habe ich mich denn wegen deinem Namen in dich verliebt? Nein. Ich liebe dich, weil du so bist, wie du bist. Es wäre so schön, wenn du einen anderen Namen hättest. Vergiss deinen Namen und ich gehöre dir- für immer."
Bis jetzt hatte ich einfach nur ihrem Geständnis gelauscht, aber nun konnte ich mich nicht länger verstecken. Mein Herz pochte so laut, dass sie es hören musste. Also sagte ich: "Dann gehörst du mir, denn ich will nie wieder Romeo sein." "Wer ist da?", schallte Julias ängstliche Stimme zu mir. Sie wusste wohl nicht, dass ich es war und hatte Angst um unser Geheimnis. Trotzdem wollte ich ihr ganz bestimmt nicht meinen Namen sagen. Sie hasste ihn und deswegen hasste ich ihn auch. Vorsichtig trat ich einen Schritt an sie heran. Jetzt sah sie mich. Ihr Gesicht wirkte erschrocken, aber ihre leuchtenden Augen verrieten ihre Freude.
"Romeo, bist du das? Romeo Montague?", entfuhr es ihr. Ich schüttelte schnell den Kopf: "Nein, das ist nicht mein Name, weil du es nicht willst." Julia näherte sich mir schüchtern. "Wie bist du hier hingekommen?", fragte sie mich, "Hier sind überall Wachen. Wenn sie dich finden, bist du tot." "Solange ich bei dir bin, ist alles gut. Alles wäre besser, selbst der Tod, als ohne dich zu leben.", erwiderte ich bestimmt. Irgendwo in meinem Inneren wusste ich, dass es stimmte. Julia strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Ich konnte ihr die Sorge vom Gesicht ablesen. "Bitte pass auf. Ich habe Angst um dich.", sagte sie so leise, dass ich es fast nicht verstand.
Wir musterten uns einen Moment und ich dachte an das Fest zurück. Dort hatte ich sie zum ersten Mal gesehen und zum ersten Mal geküsst. Schließlich errötete sie leicht. In der Dunkelheit war die verräterische Röte nur schwer zu erkennen, aber ich wusste, dass sie etwas auf dem Herzen hatte. "Du hast mich belauscht.", stellte sie unsicher fest, "Jetzt weißt du über meine Liebe bescheid, aber ich nicht über deine. Schwöre mir, dass du mich liebst." Natürlich würde ich das machen. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Julia stoppte mich, bevor ich beginnen konnte. "Nein, schwöre doch nicht. Das ist zu schnell."
Ich blickte sie verwirrt an,aber ich wollte sie nicht zu etwas drängen. Wenn wir nicht in dieser schwierigen Situation wären, würde ich Jahrtausende auf Julia warten. Jeder einzelne Tag wäre schrecklich, aber sie wäre es wert. Allein, dass wir hier standen, schien wie in einem Traum. Ich überlegte wirklich, mich in den Arm zu zwicken, aber selbst wenn es ein Traum wäre, dann sollte er nie enden.
"Hätte ich doch nie über meine Liebe erzählt.", riss mich Julias Stimme aus den Gedanken. "Aber wieso denn?", fragte ich sie. Julia sah mir fest in die Augen: "Weil ich dir zuerst unabsichtlich meine Liebe gestanden habe. Dabei wollte ich dir alles aus freiem Willen sagen. Könnte ich dir meine Liebe doch von neuem gestehen." Ihre Antwort brachte mich so durcheinander, dass ich fast vergaß zu atmen. Sie meinte das wirklich ernst. "Dann tu das, wenn wir heiraten.", schlug ich ihr einfach so vor.
Im nächsten Moment hörte ich eine Stimme rufen: "Julia, kommst du mal?!" Julia biss sich auf die Lippen. Sie schien hin und her gerissen, was sie mir antworten sollte. Ich wusste, dass es ihr zu schnell ging, aber ich wusste auch, dass das hier- das mit ihr- die wahre Liebe war. Für nichts auf der Welt würde ich sie aufgeben. Ich nahm behutsam ihre Hände in meine und wartete auf ihre Antwort. "Schick mir morgen eine Nachricht.", flüsterte sie entschieden und fügte dann hinzu, "Um 9 Uhr werde ich warten." Als die Stimme wieder ertönte, musste ich sie freigeben- aber nicht für lange Zeit.
Glück durchflutete mich, wie in einer Welle, denn es war noch lange kein endgültiger Abschied. Während ich ging, hörte ich noch einmal Julias liebliche Stimme vom Balkon: "Ich vermisse dich schon jetzt, mein Romeo. Gute Nacht!" "Schlaf gut, liebste Julia!", rief ich ihr lächelnd zu. Besser konnte es eigentlich nicht mehr werden. Nur eine Frage beschäftigte mich noch. Wie konnte etwas so Schönes verboten sein? Ich verstand es einfach nicht. Unsere Liebe hätte frei sein sollen und nicht ein Geheimnis. Trotz dessen würde ich Julia nie mehr gehen lassen.
Morgen würde ich mich erst einmal zu Lorenzo aufmachen und ihn um Hilfe bitten. Er würde mich sicher verstehen. Beschwingt machte ich mich auf den Weg nach Hause. Alle meine Gedanken umkreisten die wunderschöne Julia und unsere bevorstehende Hochzeit. Was konnte da noch schief gehen? Schlafen würde ich heute Nacht auf keinen Fall können. Dafür war zu viel passiert. Bald waren Julia und ich für immer verbunden. Unsere Zukunft war ungewiss und vieles war unklar. Doch eines wusste ich ich mit Sicherheit: Ich war für immer der ihre und sie für immer meins. Bis zum Tode und in die Ewigkeit.
Ohhhh, Gänsehaut... wunderschön!
AntwortenLöschen